In der Filmreihe geht es um die Frage, wie nach dem Ende der Vorherrschaft des Menschen die Beziehungen zwischen den verschiedenen Spezies und Wesenheiten gestalten können. Angesichts der derzeitigen Bedrohungen menschlichen Lebens durch menschgemachte Phänomene wie den Klimawandel, und angeregt durch die Philosophie des sogenannten „kritischen Posthumanismus“ unternimmt die Reihe eine Reise in eine nicht mehr allzu ferne Welt, in der der Mensch nicht mehr im Zentrum steht sondern lediglich eine Spezies unter vielen ist.
Die Filmreihe besteht aus dokumentarischen Werken und Spielfilmen und reicht von Fritz Langs Stummfilm-Science-Fiction Metropolis und Denis Villeneuves Arrival, der einen ganz neuen Blick auf eine Begegnung zwischen Menschen und außerirdischen Wesenheiten wirft, über Nikolaus Geyrhalters meditativem Blick Homo Sapiens auf einer Erde ohne den Menschen, bis hin zu Donna Haraway: Story Telling for Earthly Survival, einem Porträtfilm über eine der Hauptdenker*innen des „Kritischen Posthumanismus“. In ihrem Film Space Dogs beobachten Elsa Kremser und Levin Peter zwei Straßenhunde in Moskau und erkunden dabei das Verhältnis von Tier und Mensch.
Christine Reeh-Peters gibt Einblick in die Art und Weise, wie Film von Anfang an als posthumane, technische Errungenschaft gefeiert wurde, und begründet, warum es viele Berührungspunkte mit dem „kritischen Posthumanismus“ gibt.
Foto: privat
Film als künstliche Intelligenz
Vortrag von Christine Reeh-Peters
Beim Film geht es nicht nur um die sogenannte „siebte Kunst“, sondern um ein technisches Medium, in dem Mensch und Maschine miteinander verschmelzen.
Denker wie Gilles Deleuze oder Walter Benjamin und Filmemacher wie Dziga Vertov oder Sergej Eisenstein haben immer wieder den nicht-menschlichen, maschinellen und automatischen Charakter des Filmbilds betont. Film wird bei ihnen als eine Entgrenzung des Menschlichen ins Technische verstanden, die die Teilung zwischen Organischem und Künstlichem aufhebt. Der Filmemacher Jean Epstein erklärt den Film gar zu einem neuen, intelligenten Denken, welches der Kinematograph, der „Roboter-Philosoph“ entwickelt, und das in eine eigene, „mechanische Philosophie“ mündet (Epstein, 1946).
In ihrem Vortrag skizziert Reeh-Peters den posthumanen Charakter des Films und die Symptome seiner denkerischen Performanz. Sie entwirft eine Meta-Ebene und umreißt die Hypothese, Film selbst als Künstliche Intelligenz zu begreifen; hierbei unternimmt sie auch Streifzüge in die zeitgenössische Philosophie des kritischen Posthumanismus.
Christine Reeh-Peters war zweieinhalb Jahre lang Geschäftsführerin der Kinemathek Karlsruhe und ist seit Oktober 2019 Juniorprofessorin für Künstlerische Forschung in digitalen Medien an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Sie ist Filmemacherin und promovierte Kunstphilosophin.
Foto: NGF Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion
Homo Sapiens
Nikolaus Geyrhalter, Österreich 2016, Digital, 94 Minuten, kein Dialog
Wie sähe die Welt ohne den Menschen aus? Was würden Außerirdische wohl sehen, wenn sie lange Zeit nach dem Aussterben der Menschheit auf die Erde kämen und dort nur noch die Hinterlassenschaften einer untergegangenen Zivilisation vorfänden? Der österreichische Filmemacher Nikolaus Geyrhalter hat Orte aufgesucht, die von den Menschen ver- und sich selbst überlassen wurden. Der Film geht der Frage nach, was von uns bleiben wird und sucht nach Antworten in leeren Räumen, in Ruinen, in zuwachsenden Städten und zwischen rissigem Asphalt. Unsere Lebensräume, nur ohne uns. Preisgegeben dem Verfall, oder besser gesagt: der Natur, die sich langsam zurückerobert, was wir ihr einst genommen haben.
Foto: Icarus Films / CBA
Donna Haraway: Story Telling for Earthly Survival
Fabrizio Terranova, Gianluca Marcon, Marco Landini, Belgien 2016; digital, 90 Minuten, Englisch
Im Jahr 1985 proklamierte Donna J. Haraway Cyborgs als die neue Seinsweise des Menschen. Nicht weniger provokant lautet ihr jetziges Motto: „Macht euch verwandt, nicht Babys!“ Damit reagiert die feministische Theoretikerin auf Debatten über das sogenannte Anthropozän, das den Menschen als Hauptakteur von Geschichte und Welt setzt. Haraway dagegen ruft das Zeitalter des Chthuluzän aus, um andere Lebewesen – Oktopusse, Spinnen oder Hunde – in den Fokus der Erzählung zu rücken. Und nicht nur das: Es sollen dabei neue Beziehungen entstehen, quer zu Vorstellungen biologischer Verwandtschaft.
Als Aufzeichnung im Anschluss an den Film Impulsvortag „Film als künstliche Intelligenz“ von Prof. Dr. Christine Reeh-Peters und Diskussion im Foyer der Kinemathek.
Foto: Sony Pictures Releasing
Arrival
Denis Villeneuve, USA 2016, digital, 116 Minuten, Englisch mit deutschen Untertiteln, mit Amy Adams, Jeremy Renner, Forest Whitaker
An mehreren Orten der Erde sind riesige Raumschiffe mit Außerirdischen gelandet. So auch im US-Bundesstaat Montana, wo schnell das Militär zur Stelle ist. Doch die Frage, warum die Aliens gekommen sind, können sie nicht beantworten. Deshalb holt man die junge Linguistin Louise Banks, um einen Weg zu finden, mit den Neuankömmlingen zu kommunizieren. Dazu muss aber die Grammatik und Semantik ihrer Sprache erstmal erkannt und verstanden werden. Voller Faszination macht sich die Sprachwissenschaftlerin an die Arbeit, argwöhnisch beäugt von den Militärs. Jedes sprachliche Missverständnis zwischen den Menschen und den Außerirdischen kann zu einem weltweiten Konflikt führen. Dem frankokanadischen Regisseur Denis Villeneuve ist mit seiner zweiten US-Großproduktion ein erstaunlich intelligenter Thriller gelungen, der den Zusammenhang zwischen Sprache und Bewusstsein untersucht.
Foto: SDK
Metropolis
Fritz Lang, Deutschland 1926, digital, 150 Minuten, mit Brigitte Heim, Alfred Abel, Gustav Fröhlich, Rudolf Klein-Rogge, Fritz Rasp
Die Stadt der Zukunft. Es herrscht eine diktatorische Zwei-Klassen-Gesellschaft, die sich auch in einer vertikalen Architektur ausdrückt. Während eine kleine Minderheit ein luxuriöses Leben luftigen Höhen führt, werden die Arbeitermassen tief unter der Erde ausgebeutet. Herr über Metropolis ist Fredersen. Als sein Sohn das Leid der Arbeiter entdeckt, wendet er sich gegen seinen despotischen Vater. Angeführt von einer jungen Frau namens Maria kommt es zum Aufstand der Massen. Dabei ahnt niemand, dass diese Maria ein künstlich erzeugter Mensch ist. Eine Roboterfrau, die als falsche Heilsbringerin die aufbegehrenden Massen ins eigene Verderben führen soll. Fritz Langs wahrscheinlich bekanntester Film ist ein visuelles Gedicht, das seit Generationen immer wieder aufs Neue begeistert. Er vereint ganz unterschiedliche Themen und Stilelemente und gilt heute auch als ein Schlüsselfilm für das Verständnis der Weimarer Republik.
Space Dogs
Elsa Kremser. Levin Peter, Österreich / Deutschland 2019, Digital, 91 Min.
Die russische Straßenhündin Laika war das erste Lebewesen im Weltall – und kehrte niemals lebend auf die Erde zurück, sondern starb wohl wenige Stunden nach dem Start von Sputnik 2 an den Folgen der Hitzeeinwirkung. Doch der Geist Laikas, so erzählt der Film „Space Dogs“ einer Legende folgend, verteilte sich beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre auf alle Straßenhunde Moskaus und lebt ihn ihnen fort.
Elsa Kremser und Levin Peter begleiten in ihrem vielfach ausgezeichneten dokumentaristischen Essay zwei dieser Tiere auf ihren Streifzügen durch Moskau und entwickeln davon ausgehend und mit Hilfe historischen Archivmaterials eine faszinierende Erkundung des Verhältnisses von Mensch und Tier. Ein Film, nach dem man die Welt und die Beziehungen der einzelnen Spezies untereinander mit ganz anderen Augen sieht.